„Hier bin ich Herr über Leben und Tod“ Dieses Projekt beschäftigt sich mit einem bislang nicht beachteten Kapitel der nationalsozialistischen Massenverbrechen, der Ermordung der jüdischen Bevölkerung der Stadt Kowel und ihrer Umgebung in den Jahren der deutschen Besatzung. Grundlage der Darstellung bilden dabei zuvor unausgewertete Primärquellen aus einem Strafprozess gegen zwei der Haupttäter, Erich Kassner und Fritz Manthei, der in den 60er Jahren in Oldenburg in Deutschland stattfand; die Quellen enthalten Aussagen von über 180 Überlebenden und Zeugen aus verschiedenen europäischen Ländern sowie der beiden Täter. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die Geschichte der zwei Ghettos in Kowel gelegt.
Der Verein Werkstattfilm ist bereits in den 90er Jahren durch Interviews mit Zeitzeugen auf den Prozess gegen Kassner und Manthei aufmerksam geworden. Wir stellten fest, dass bislang weder die Ermordung der Juden von Kowel noch der Prozess publizistisch oder wissenschaftlich aufgearbeitet wurden. Dies bedeutet, dass die Schicksale zahlreicher Menschen, die Opfer der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik wurden und deren Geschichten bislang nur in schwer zugänglichen Akten aufgezeichnet waren, in Vergessenheit zu geraten drohen. Einer früheren Auswertung der Prozessakten standen archivrechtliche Sperrfristen im Weg. Somit ergibt sich nunmehr erstmals die Gelegenheit, ein unbearbeitetes Kapitel der NS-Zeit aufzuarbeiten und bislang unpublizierte Quellen der breiten Öffentlichkeit verschiedener Länder zugänglich zu machen. Es ist zudem die letzte Möglichkeit, noch Zeitzeugen der Ereignisse in Kowel in die Dokumentation einzubeziehen; so erfuhren wir, dass eine jüdische Hauptzeugin im Prozess erst vor Kurzem verstorben ist, während andere Zeugen noch hochbetagt in Israel leben. Die im Niedersächsischen Staatsarchiv Oldenburg lagernden Prozessakten im Umfang von mehr als 10.000 Seiten werden gesichtet und auszugsweise kopiert. Es folgt die Auswertung der Akten im Hinblick auf biographische Informationen über Täter und Opfer sowie die historischen Abläufe. Aus der verfügbaren Literatur über die Stadt Kowel und andere relevante Themen wie die Geschichte des Holocausts in der Ukraine werden Hintergrundinformationen gesammelt. Wir bauen Kontakte zu den noch lebenden Prozessbeteiligten, Zeugen oder ihren Angehörigen auf und führen mit ihnen Interviews. Zu diesen Interviews finden ergänzend weitere Aufnahmen an Originalschauplätzen, z.B. im damaligen Gerichtssaal sowie in Kowel und Umgebung statt, woraus ein Dokumentarfilm entsteht. Die Ausarbeitung einer Konzeption für eine Ausstellung in deutscher und englischer Sprache mit originalem Foto- und Kartenmaterial schließt sich an. Es folgt die Aufarbeitung ausgewählter Dokumente in Hinsicht auf ihre Aussagekraft für die Veröffentlichung. Es wird mit verschiedenen audiovisuellen und interaktiven Medien gearbeitet. Über Zeitzeugeninterviews wird ein emotionaler Zugang zu dem Thema vermittelt; Filmaufnahmen halten die historischen Originalschauplätze in bildlicher Form fest. Dokumente werden in Form visueller Inszenierungen präsentiert. Die Grundlage für die umfangreiche Recherche bilden verschiedene Quellen- und Literaturbestände in Archiven und Bibliotheken. Zudem zielt die Aufarbeitung besonders aussagekräftiger Quellen darauf ab, auch Personen mit geringen historischen Vorkenntnissen und ohne Erfahrungen mit Quellenarbeit die Gelegenheit zur intensiveren Auseinandersetzung mit dem Thema zu bieten. Ergebnisse des Projekts sind ein Dokumentarfilm, eine Ausstellung sowie ein Buch und eine Dokumentation. Der Film wird öffentlich aufgeführt, zur Verwendung im Schulunterricht bereit gestellt und auf einer käuflich zu erwerbenden DVD veröffentlicht. Die zweisprachige Ausstellung (deutsch/englisch) stellt individuelle Schicksale der Familien in Kowel sowie die historischen Zusammenhänge dar. Das Buch soll die Entstehung des Projektes von den Anfängen an dokumentieren und seine Ergebnisse nachhaltig sichern. Es enthält Informationen über den historischen Hintergrund des Prozesses, die Geschichte der Stadt Kowel, biographische Informationen über die Täter und die wichtigsten Zeugen, sowie ausgewählte Dokumente aus dem Prozess. GeschichtslehrerInnen und SchülerInnen werden in die Konzipierung und Erarbeitung der Ausstellung eingebunden. Angehörige der Opfer und Zeitzeugen des Prozesses werden eingeladen, Dokumente und Bildmaterial zur Verfügung zu stellen und ihre persönliche Geschichte zu schildern. Einzelne Aspekte des Themas werden von Projektgruppen bearbeitet, an denen sich alle interessierten BürgerInnen beteiligen können. BesucherInnen der Ausstellung können in einem Gästebuch ihre Eindrücke, Kritik und Anregungen äußern. Die Ergebnisse des Projekts werden nachhaltig in Form eines Filmes gesichert. Die vorhandenen Informationen dienen als Grundlage der weiteren Beschäftigung mit dem Thema für WissenschaftlerInnen, LehrerInnen, SchülerInnen und die interessierte Öffentlichkeit allgemein.
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